Der Dieb in der Nacht – Katharina Hartwell

Ein Mensch, der verschwindet, hinterlässt immer eine Lücke, die niemals ganz geschlossen werden kann. „Der Dieb in der Nacht“ ist  ein düsterer Roman über die Auswirkungen, die eine solches Verschwinden auf die Zurückgebliebenen haben kann.

Der Dieb in der Nacht – Katharina Hartwell

Zehn Jahre nachdem Felix verschwunden ist, sitzt Paul in einer Prager Kellerbar plötzlich seinem besten Freund gegenüber. Zumindest ist Paul im einen Moment sicher, ihn vor sich zu haben, im nächsten sieht der Mann Felix nicht einmal mehr ähnlich. Paul gerät in den Bann jenes Mannes, der sich Ira Blixen nennt, sich bewegt wie Felix, ihn anschaut wie Felix und ein Muttermal an der gleichen Stelle am Handgelenk hat. Kann es Zufall sein, dass Blixen vor Jahren bewusstlos aus dem Fluss gezogen wurde und keine Erinnerung an seine ersten 20 Lebensjahre besitzt? Quelle

Der Roman beginnt in Prag, in dem Paul wegen einer Auftragsfotografie unterwegs ist. Ich muss gestehen, dass ich mich mit dem Einstieg in das Buch etwas schwer getan habe. Es war ein langsamer Einstieg, der mich nicht sofort gepackt hat. Ich weiß nicht recht, woran es lag, vielleicht ist es auch nur meiner Müdigkeit zuzuschreiben. Vielleicht hatte ich auch zu Beginn ein Problem, zu Paul in Prag eine Verbindung herzustellen. Irgendwann bin ich aber mitgerissen worden, spätestens ab dem zweiten Drittel.
Die Atmosphäre wird immer düsterer und drückend, die Orientierungslosigkeit der Protagonisten wird greifbar. Diese Atmosphäre griff auch auf mich über. Wer ist der mysteriöse Fremde, den sie anfangs für Felix halten und der die Lücke, die Felix hinterlassen hat, so gut zu füllen weiß? Was führt er im Schilde? Ich musste es erfahren und habe immer weitergelesen.

Doch trotz dieses Lesesogs, der sich plötzlich entfesselte, ist dieses Buch ein sehr ruhiges Buch. Schleichend zeigt sich die Veränderung im Alltag und in den Gedanken und Handlungen der Protagonisten. Dies wird unterstützt durch Katharina Hartwells wunderbaren Schreibstil der sehr dicht und metaphorisch ist. Ihre Sätze schaffen es, diese düstere Stimmung zu erzeugen und mitzureißen.

Da erst fängt Louise an zu weinen, und sie weint weiter, während die Frau sie in ihre Wohnung führt und ihr süßen Tee in kleinen blumigen Tassen anbietet.
In Pauls Vorgarten stehend, erinnert sie sich an das verblasste Rosenmuster auf den Tassen und an das Gefühl, wie ihr alles entglitt, sie den Halt verlor und fürchtete, eine Rosentasse in der Hand, verrückt zu werden. Es war alles umsonst gewesen. Sie hätte nicht gegen die Tür hämmern,sie hätte nicht weinend süßen Früchtetee trinken und sich vor dem Wahnsinn fürchten müssen, denn der Mann hinter der Tür war nie Felix gewesen.
 Der Dieb in der Nacht, Katharina Hartwell, Seite 97

Auch die Charaktere sind eine große Stärke des Romans: Sehr gut konstruiert werden sie zwischen den Seiten lebendig. Auf ihre Weise sind sie alle Verlorene: Paul, der den Verlust des besten Freundes nicht verkraften kann und sich so sehr nach einer Familie sehnt. Louise, die sich seit dem Verschwinden ihres Bruders in der Familie nicht mehr anerkannt fühlt, die eine Grüblerin ist, der es nicht gelingt, Stabilität in ihr Leben zu bringen. Und am Ende Agnes, die Mutter, eine harte Frau, die kaum jemanden wirklich an sich herankommen lässt und sich in bittere Gedanken flüchtet. Der Riss, den Felix Verschwinden erzeugt hat, durchzieht sie alle. Dieser Roman ist eine Charakterstudie, die tief in das Innenleben der Personen eintaucht.

Nach der Lektüre von „Der Dieb in der Nacht“ weiß ich, dass mir unbedingt ihr Debüt „Das fremde Meer“ zulegen muss. Katharina Hartwell hat mich mit diesem Roman nach einem etwas schwierigeren Einstieg überzeugt und gezeigt, dass sie ruhige, packende Geschichten erzählen kann, die durch ihren wunderbaren Schreibstil und interessante Charaktere überzeugen.

Der Roman ist im Berlin Verlag unter der ISBN 978-3-8270-1279-1 erschienen.

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