Rotwein für drei alte Damen oder Warum starb der junge Koch? – Minna Lindgren

Rotwein für drei alte Damen

Detektivinnen sucht man in diesem Roman vergeblich. Stattdessen erwarten einen drei alte Damen, die Gefangene und Opfer eines Systems sind, aus dem sie nicht ausbrechen können. Eine bitterböse Kritik am Altenpflegesystem.

Dieses Buch hat mich lange in der Buchhandlung angelächelt, bis ich es schließlich gekauft habe. Aufmachung und Klappentext wecken Erwartungen an einen humorvollen, scharfsinnigen Detektivroman mit drei alten Seniorinnen in der Hauptrolle.

Wenn es etwas gibt, was die drei über neunzigjährigen Freundinnen Siiri, Irma und Anna-Liisa hassen, dann ist es das Gefühl, nicht für voll genommen zu werden. Als in ihrer Altenresidenz »Abendhain« seltsame Dinge vor sich gehen, steht für sie fest, dass sie handeln müssen. So beginnt ein Abenteuer, das für die drei Freundinnen bald aus dem Ruder läuft und Irma ernsthaft in Gefahr bringt. Quelle

Bücher mit ungewöhnlichen Protagonisten haben mich schon immer begeistert. Wer will schon die hundertste Geschichte mit den 16-jährigen System-Rebellen lesen? Da kommt doch eine Reihe detektivisch veranlagter alter Damen mit einem Faible für Rotwein genau richtig! Allerdings ergreifen Siiri, Irma und Anna-Liisa nur selten die Initiative. Vielmehr sind sie Chronisten der verschiedenen Ereignisse, die in »Abendhain« geschehen und irgendwie miteinander zusammenhängen müssen.

Der Leser folgt dabei primär den Gedanken von Siiri, einer resoluten Dame vom alten Schlag, die wenig von Medikamenten oder anderem Schnickschnack hält. Leider äußert Siiri auch keine Schwächen und drückt damit ihr Unverständnis viel zu selten aus. So bekommt der Leser unmittelbar mit, was es bedeutet, alt zu werden, nicht mehr alles zu verstehen, und vor allem teilweise von den Mitmenschen als unmündig behandelt zu werden. Aus Angst vor Bloßstellung beharrt Siiri viel zu selten auf ihrer Meinung und Erklärungen von anderen. Und ergreift sie doch einmal die Initiative wird sie schnell als nicht zurechnungsfähig abgestempelt. Diese Umstände machen die Damen zu Einzelkämpferinnen, obwohl es vielleicht sogar in der unmittelbaren Verwandtschaft potentielle Helfer geben würde.

Minna Lindgren gelingt es hervorragend, Siiris Perspektive einzufangen! Wie die alte Dame tappt man als Leser mit im Dunkeln und weiß nicht, was vor sich geht. Dabei ist das Alter eben nicht das schlimmste (die Andeutungen darauf sind tatsächlich sehr humorvoll), sondern die Reaktionen aus dem Umfeld. Dies hinterlässst einen so faden Beigeschmack, dass der eigentliche Humor ein wenig verloren geht. Gleichzeitig sensibilisiert er dafür, dass man alte Menschen niemals wie Kinder oder von oben herab behandeln sollte, auch wenn sie vielleicht etwas langsamer werden und die moderne Welt nicht immer verstehen.

Mit dieser Darstellung greift Minna Lindgren das finnische Altenpflegesystem direkt an und zerrt verschiedene Umstände auf die Anklagebank. Nicht nur der persönliche Umgang mit den Senioren, sondern auch die Abschiebung, wenn die alten Menschen mal zu sperrig werden, die fehlende Zeit für eine richtige medizinische Behandlung und damit verbunden eine sinnvolle Medikation, sowie wechselndes, gestresstes Pflegepersonal, die Entmündigung von Heimbewohnern, damit verbunden fehlende Beschwerdekanäle und fehlende, angemessene Beschäftigung oder Kennlernrunden für neue Mitbewohner – das alles sind Kritikpunkte, die in diesem Buch enthalten sind.
Es ist schrecklich zu lesen, dass Siiri und Anna-Liisa sich treffen, um sich gemeinsam gegenseitig vorzulesen – weil das Pflegeheim nur Bastel- und Sportstunden anbietet, die für die beiden Damen am persönlichen Stolz kratzen, anstatt angemessene Beschäftigungsmaßnahmen zu bieten. So flüchten sich die rüstigen Seniorinnen regelmäßig die Straßenbahn, weil es für sie spannender ist, die architektonischen Besonderheiten von Helsinki zu betrachten, als sich im Heim bespaßen zu lassen. Ich bin froh, dass ich in Deutschland bisher nur zwei sehr gute Pflegeeinrichtungen kennen lernen durfte. Denn leider ist dies vermutlich die Realität. Vielleicht nicht so geballt, aber durchaus in den Grundzügen.

Alle Charaktere sind übrigens wunderbar gezeichnet. Besonders gefällt mir, dass alle Senioren noch so lebenslustig sind. Sie sind neugierig, treten gerne mit der Welt in Kontakt, genießen ihr Leben und trinken dabei durchaus gerne mal einen Rotwein. Oder Whiskey. Ohne sich Sorgen um ihre Gesundheit zu machen, denn sterben muss man ja sowieso irgendwann, sei es jetzt früher oder später spielt für sie nach eigener Aussage auch keine Rolle mehr. Was den Roman besonders auszeichnet, sind die Beziehungen zwischen den Charakteren, die tatsächlich entscheidend dafür sind, dass sie sich trotz der schlechten Umstände wohlfühlen und das Leben genießen können. Denn so bilden die Bewohner des Heims langsam eine Allianz gegen die Ungerechtigkeiten, die dort vor sich gehen.

Nachdem ich den Roman nun in den höchsten Tönen gelobt habe, kommt nun die Kritik: Einfach zu lesen ist das Buch nämlich leider nicht. Es ist Siiris Perspektive und die Seniorin schlittert natürlich nicht actionreich von Abenteuer zu Abenteuer, das war vorauszusehen. Leider hat es bei mir ein wenig gedauert, bis ein echter Lesefluss aufgekommen ist. Die vielen Fahrten in der Straßenbahn tragen auch nicht unbedingt zur Spannung bei, sondern wecken höchstens die Lust in einem, sich die beschriebenen Orte und Bauwerke in Helsinki einmal live anzusehen.
Auch die verwirrende Wahrnehmung von Siiri, bei der man nie ganz genau weiß, woran man ist, erschwert den Lesefluss etwas. Bei mir als Leserin führt es dazu, dass ich die Protagonistin gerne einmal packen möchte, um sie endlich dazu zu bringen, bestimmte Fragen zu stellen und die Antworten darauf einzufordern. So bleiben alle Charaktere, die neben den Heimbewohnern existieren, undurchschaubar. Manchmal habe ich mir auch die Frage gestellt, ob Siiri am Ende vielleicht doch unter Verfolgungswahn leidet, wer weiß.

Der erwartete Witz des Buches ist in meiner Wahrnehmung durch die schlimmen Umstände leider etwas geschmälert worden. So reicht es höchstens zu einem müden Lächeln mit einem faden Beigeschmack. Auch der erwartete Krimi bleibt – wie oben bereits angedeutet – aus. Wer so etwas erwartet, wird mit Sicherheit enttäuscht werden. Nur in seltenen Fällen ergreifen die Damen die Initiative. Meist reagieren sie einfach nur, unterhalten sich mit verschiedenen Menschen oder gehen auf Beerdigungen (davon gibt es tatsächlich einige). Leider klärt sich auch am Ende keiner der seltsamen Vorfälle zu vollster Zufriedenheit auf, wie Siiri tappt man weiterhin im Dunkeln. Um alle Geheimnisse zu lüften, muss man wohl die nächsten beiden Bände kaufen, die für November 2016 und das Frühjahr 2017 angekündigt worden sind.

Um Freude an diesem Buch zu haben, sollte man nicht mit falschen Krimi-Vorstellungen herangehen. Man sollte sich auf die Perspektive einer alten Dame einlassen können und auch damit zurecht kommen, dass nicht alles immer sofort zu hunderprozentiger Zufriedenheit geklärt wird. Außerdem sollte man nicht auf der Suche nach einem Einzelband sein.

Das Buch ist als Klappenbroschur unter der ISBN 978-3-462-04724-0 bei KiWi erschienen.

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