Rüdiger Meierle ist Lehrer für Geschichte und Latein. Seine Allgemeinbildung ist enorm, er hat eine wunderbare Frau, mit der er gern nach Korsika reist. Alles ist gut. Doch hinter dem unauffälligen Leben zu zweit verbirgt Meierle ein Geheimnis. Alles begann an jenem Tag vor vielen Jahren, als er als Kandidat auf dem Stuhl einer berühmten Quizshow saß – und ganz Deutschland zusah … (Quelle)
Stell dir vor, alle möchten, dass du eine Quizshow besuchst, weil sie dich um deine Allgemeinbildung bewundern. Und schließlich lässt du dich darauf ein und alles läuft tatsächlich wie am Schnürchen, bis du plötzlich bei einer Frage – der hundertfünfundzwanzigtausend Euro-Frage – einen absoluten Blackout hast. Obwohl die Frage genau auf dein Fachgebiet abzielt. Du nutzt einen Joker, doch die ausgewählte Person gibt dir einen falschen Tipp und du scheiterst an ebenjener Frage.
Wie ein solches Ereignis ein ganzes Leben emotional durcheinanderwirbeln kann, zeigt Dierk Wolters in seinem Buch. Rüdiger Meierle hinterfragt nicht nur sein aktuelles Leben, sondern auch seine Vergangenheit. Gleichzeitig muss er emotionale Unterstützung bei der jungen Frau leisten, die ihm im Spiel die falsche Antwort genannt hat und nun brutal von Medien und Publikum in die Öffentlichkeit gezerrt und verurteilt wird. Julia schreibt ihm lange E-Mails, in denen sie ihre Probleme schildert, die aus der Quizshow entstanden sind. Auf diese Weise gelangt auch ihre junge Stimme in den Roman, der ansonsten aus der Sicht Rüdiger Meierles erzählt wird. Dierk Wolters versetzt sich dabei realistisch in die beiden Stimmen seiner Protagonisten hinein und wählt einen ganz unterschiedlichen Sprachduktus für ihre Gedanken und Gefühle.
Interessant ist, dass Rüdiger Julias Leiden zunächst nicht ganz ernst nimmt („es wird schon vorübergehen“), obwohl doch gerade er in der Lage sein sollte, ihre Situation nachzuvollziehen. Dennoch sind seine eher aus einer distanzierten Position verfassten E-Mails ihre einzige Unterstützung und sie klammert sich verzweifelt daran fest, weil sie aus ihrem Umfeld nur noch Ablehnung erfährt. So gehen Julia und der Ich-Erzähler eine eigenartige Symbiose ein, nachdem sie beide durch dieses einschneidende Ereignis in ihrem Leben alles hinterfragen. Julia klammert sich an Rüdiger, weil er der einzige ist, der – in ihrer Wahrnehmung – ihren Fehler verzeiht und auf sie zugeht. Rüdiger wiederum zieht Stärke aus Julias Schwäche, ihrer Not und ihrer Dankbarkeit.
Julias Situation ist es, die mich am meisten getroffen hat. Die neuen Medien machen ein solch öffentliches Anprangern tatsächlich möglich. Noch schlimmer ist es, wenn man weiß, dass der Autor hier eine in Ansätzen wahre Geschichte analysiert und verarbeitet. Tatsächlich ereignete sich 2013 genau das von Dierk Wolters im Roman geschilderte Ereignis: Die Frage stimmt überein, die Situation, ebenso Julias Rahmendaten und die Medienberichterstattung in den verschiedenen Etappen. Lediglich den Teilnehmer bei dem Fernsehquiz hat Dierk Wolters verändert, indem er ihm einen fachlichen Hintergrund verpasst und so auch sein »Unwissen« stärker betont. Einen beispielhaften Artikel gibt es bei der Welt, außerdem findet man noch viele weitere Artikel, wenn man die Begriffe »wer wird millionär publikumsjoker falsche antwort« bei Google eingibt.
Das Ende des Romans hat sich in der Realität aber hoffentlich nicht so ereignet: Geschickt führt Dierk Wolters die Geschichte über das Innenleben von Rüdiger Meierle und seiner selbstreflektierenden Gedankenreise zu einem absurden Ende, das gleichzeitig nur konsequent wirkt.
Es handelt sich hier um den Debütroman von Dierk Wolters und einen wunderbaren noch dazu. Detailliert seziert er die Gefühle der Protagonisten, demonstriert ihre Ausweichmechanismen, ihre Probleme und Schwächen und verpackt dies sprachlich gekonnt.
Der Roman ist unter der ISBN 978-3-86337-052-7 bei weissbooks.w erschienen.