Kann eine Jugendliebe eine offene Beziehung auf Zeit vertragen? Nur ein kurzer Zeitraum, um neue Erfahrungen zu sammeln? Dieser Frage geht Sabine Both in ihrem Jugendbuch nach. Gute Beschreibungen in Verbindung mit einem schwierigen Schreibstil.
Auf der Leipziger Buchmesse war ich tatsächlich bei einer Lesung der Autorin und es ist etwas passiert, was selten passiert: Ich habe die Lesung verlassen, weil sie mir nicht gefiel. Nicht inhaltlich sondern die Formulierungen, es fiel mir schwer, dem zuzuhören. Aber jeder kriegt ja eine zweite Chance und selber lesen ist außerdem etwas anderes als vorgelesen zu bekommen.
Eine offene Beziehung. Für drei Monate. Zwischen Abi und Studium. Sich ausprobieren. Mit anderen. Danach ist alles wieder wie zuvor und Tom und Verena weiterhin ein Paar. Denn sie lieben sich und wollen für immer zusammen bleiben. Doch ist das wirklich so einfach, wie sie es sich vorstellen? Quelle
Besonders gut gefiel mir der Beginn des Buches, in dem der Anfang von Verenas und Toms Beziehung dargestellt wurde. Dies ist keine „hach du bist so toll“ oberflächliche Beziehung, wie man sie derzeit ja in Jugendbüchern leider häufig findet, sondern eine Beziehung, in der deutlich wird, was die beiden füreinander empfinden und weshalb sie sich gefunden haben.
Leider wandelt sich dies später: Unwillkürlich stellte ich mir die Frage, warum Verena und Tom eigentlich noch zusammen sind. Gewohnheit? So wirkt auch ihr Arrangement leicht skurril oder vielmehr wie eine Rückversicherung, denn echte Liebe kann man nicht mehr spüren. Sie haben außerdem die Fähigkeit verloren zu reden, was der Grundstein einer Beziehung sein sollte. Vermutlich wäre es an dieser Stelle konsequenter gewesen, sich zu trennen. Aus diesem Grund finde ich es auch schwierig, im Zentrum dieses Buches die offene Beziehung und die Frage nach der Tauglichkeit dieses Konzepts zu sehen. Wenn eine Beziehung schon von starken Schwierigkeiten geprägt ist, fällt es schwer, eine Rettung in einem solchen Experiment zu finden.
Gleichzeitig geht es in dem Buch aber nicht nur um die Beziehung von Verena und Tom, sondern um viele verschiedene Personen und ihren Weg im Leben. Die Charaktere fand ich allesamt sehr gut gezeichnet und keineswegs eindimensional. Besonders Isabelle hat es mir angetan: Auch wenn sie kein Sympathieträger ist, wirkt sie auf mich als sehr gebrochene Person, die ihre eigene Verletzbarkeit hinter ihrem Spieltrieb versteckt. Daher finde ich es beinahe schade, dass diese interessante Figur am Ende nicht weiter beleuchtet wird. Aber gut: Im Zentrum soll ja das Paar Verena und Tom stehen.
Sabine Both wechselt immer wieder die Perspektive von Verena zu Tom und fängt so ihre Reaktionen, Gedanken und Gefühle auf gleiche Situationen oder das Verhalten des jeweils anderen ein. Dabei fasst sie die teilweise stark widerstrebendem Gefühle von Jugendlichen gut in Worte, sie hat ein Talent für die Erfassung von prägenden Situationen und Gefühlen und die Nutzung der richtigen Worte, um diese zu beschreiben. Ich konnte mich sehr gut in die Figuren hineinversetzen. Es gelingt der Autorin, Stimmungsveränderungen in Sprache zu transportieren und die fühlbaren, nur schwer beschreibbaren Distanzen, die sich plötzlich zwischen Menschen auftun können, in Worte zu fassen.
Aber: Was mir wiederum gar nicht gut gefällt, sind die kurzen, abgehackten Sätze und der damit einhergehende Stakkato-Stil. Ich habe selten Probleme mit Schreibstilen, aber diesen hier mag ich nicht. Überhaupt nicht. Das Buch würde für mich stark gewinnen, wenn die Fetzen, die einem hier präsentiert werden, verknüpft werden würden und ein etwas melodischeres Sprachbild entsteht. Denn die abgehackten Sätze dominieren so leider den Eindruck und genau dies war es auch, was mich an der Lesung so gestört hat und dazu führte, dass ich sie verlassen habe. Gleichzeitig findet keine Differenzierung zwischen Verenas und Toms Erzählstimme statt, was sich bei dieser Konstruktion durchaus angeboten hätte.
Ein weiteres Problem war für mich das Ende. Mir war es ein wenig zu abrupt, letztendlich geht es gar nicht so sehr um die offene Beziehung sondern vielmehr um das Taumeln am Abgrund einer Beziehung. Und plötzlich war es vorbei, ohne dass dem Leser wirkliche Hintergründe geboten wurden. Ich habe Aussprachen vermisst, noch einmal eine Reflexion der Erfahrungen – doch Verena und Tom waren ja leider noch nie besonders gesprächig.
So hinterlässt das Buch bei mir einen zwiegespaltenen Eindruck: Einerseits gute Gedanken- und Situationsbeschreibungen, andererseits eine von vornherein schwierige Beziehung und ein Schreibstil, den ich wahrlich nicht als angenehm empfunden habe. Es ist definitiv kein heiterer Liebesroman, sondern ein eher nachdenkliches Werk, welches bei mir die Frage aufwarf, wann eine Beziehung noch eine Beziehung und nicht nur Alltag ist. Die angepriesene offene Beziehung war für mich eher Symptom und Beiwerk, kein zentrales Handlungselement.
Das Buch ist unter der ISBN 978-3-7855-8222-0 als Klappenbroschur bei Loewe erschienen.