Intensiv und verwirrend. Eine Frau entscheidet ab sofort vegan zu leben. Ihr Umfeld reagiert mit Unverständnis. Was eine solch – eigentlich banale Entscheidung – auslösen kann, zeigt Han Kang in ihrem Debütroman.
Manchmal gibt es Bücher, die einen ratlos zurücklassen. »Die Vegetarierin« ist für mich ein solcher Roman. Fällt es schwer, die Gedanken zusammenzufassen, fängt man am besten bei der Struktur an: Der Roman besteht aus drei Teilen, die jeweils eine andere Perspektive aufweisen. In jedem Abschnitt steht aber dennoch die junge Frau im Fokus, die von einem Tag auf den anderen ihr Leben umkrempelt, indem sie entscheidet, keine tierischen Produkte mehr zu essen. Ihre Begründung: »Ich hatte einen Traum.«
Han Kang beschwört eine bedrückende Atmosphäre herauf. Ihre Protagonisten sind alle mit ihrem Leben unzufrieden, aber dennoch haben sie sich mit ihrer Situation abgefunden. Bis jene eine Frau entscheidet, kein Fleisch mehr zu essen. Damit setzt sie eine Kettenreaktion in Gang, die Einfluss auf viele ihr nahestehende Personen hat.
Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie für nichts Besonderes. Bei unserer ersten Begegnung fand ich sie nicht einmal attraktiv. Mittelgroß, ein Topfschnitt, irgendwo zwischen kurz und lang, gelbliche unreine Haut, Schlupflider und dominante Wangenknochen. So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten. Die Vegetarierin, Han Kang, S. 7
Dabei stellt die Autorin viele Fragen: Wie rücksichtsvoll müssen Menschen bei der Verwirklichung ihrer Träume auf die Personen im Umfeld Rücksicht nehmen? Wie wichtig ist die eigene, hundertprozentige Freiheit? Und kann man Menschen zu ihrem Glück zwingen, auch wenn man dabei ihre Freiheit einschränkt?
Sprachlich ist das Buch schlicht, aber intensiv. Es brodelt unter der Oberfläche – nichts ist berechenbar. Und gerade das macht den besonderen Reiz des Romans aus – auch wenn er stellenweise irritierend und auch leicht verstörend ist. Ich weiß nun, warum mir eine Buchhändlerin von der Lektüre abriet. Ich bin dennoch froh, mich auf dieses »Experiment« eingelassen zu haben, denn gerade Bücher, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen, mag ich sehr. Tagelang trage ich die Szenarien mit mir herum und grübele darüber nach.
Der Roman wurde bereits 2007 in Südkorea veröffentlicht – nun ist er auch in deutscher Sprache erschienen. Hoffentlich gibt es bald noch weiteres von der Autorin in deutscher Sprache zu lesen!
Das Buch ist als Hardcover unter der ISBN 978-3-351-03653-9 beim Aufbau Verlag erschienen.