Glücksdrachenzeit – Katrin Zipse

Glücksdrachenzeit – Katrin Zipse

Was tut man, wenn der Bruder plötzlich seine Sachen packt und verschwindet? Bei Nellie gibt es auf diese Frage nur eine Antwort: Hinterherreisen und versuchen, ihn zurückzuholen.

Als Nellie nachts von ihrem Bruder geweckt wird und er sich von ihr verabschiedet, ist sie fassungslos. Wie kann er einfach so gehen? Ihre Eltern dagegen nehmen das Verschwinden ihres Bruders ganz anders zur Kenntnis: Ihre labile Mutter reist zu einer Freundin, ihr Vater räumt Koljas Zimmer aus. Als auch ihr Vater in den Urlaub fährt, fasst Nellie einen Entschluss: Sie reist Kolja hinterher nach Avignon, gemeinsam mit ihrem Hund Jackson. Dabei trifft sie auf Miss Wedlock, die mit fünf Plastiktüten auf dem Weg ans Meer ist, und auf Elias, der ihr zur Seite steht.

Ich lache sehr selten bei Büchern, doch »Glücksdrachenzeit« hat mich mehrfach zum Lachen gebracht – zumindest im ersten Viertel. Danach wird es etwas ernster (aber nicht zu ernst, keine Sorge!). Nellie ist eine herrliche Protagonistin. Ich liebe ihre Gedankengänge. Was ich außerdem an ihr schätze: Sie läuft vor Problemen nicht davon, sondern geht auf Konfrontation. Aber auch die anderen Charaktere, die Katrin Zipse neben Nellie erschaffen hat, sind äußerst liebenswert. Selbst Nebenfiguren wie Victor sind mir positiv in Erinnerung geblieben. Miss Wedlock ist wirklich einmalig und so lebendig beschrieben, dass ich sie nur zu gerne einmal kennen lernen würde.

Das Buch ist wirklich prall gefüllt mit verschiedenen Situationen und Genres: Ein lustiger Roadtrip, ein wenig Drama, ein bisschen Liebe und eine Prise Krimi. So wird es niemals langweilig und der Leser erfährt Stück für Stück, welches Geheimnis in Nellies Familie totgeschwiegen wird.

Ebenso wie mit den Genres experimentiert Katrin Zipse auch mit verschiedenen Schreibstilen – meiner Meinung nach sehr gelungen. Wir haben kurze Kapitel, lange Kapitel, Gedankenspiele von Nellie, Tonaufnahmen, innere Monologe, Erinnerungsfetzen – ich habe diese Vielfalt geliebt. Aber ich bin allgemein ein Fan davon, wenn mit Sprache und Schreibstilen gespielt wird. Falls das jetzt jemanden abschreckt: Keine Angst. Der Großteil des Buches ist ganz regulär in der ersten Person Präsenz geschrieben. Dennoch möchte ich eine kleine Kostprobe für die vielen unterschiedlichen Einschübe geben (Nellie stellt gerade fest, dass Hunde beim Trampen nicht gerade hilfreich sind):

Und deshalb spielt sich immer der gleiche Film ab:

Einsames Mädchen mit haarigem Monster am Straßenrand. Frauenauto kommt in Sichtweite. Einsames Mädchen hält den Daumen raus. Nahaufnahme einsames Mädchen: vertrauenerweckendes Lächeln, leicht verlorener Blick. Frauenauto wird langsamer.
Schwenk auf das Haarmonster neben einsamen Mädchen.
Frauenauto beschleunigt.
Einsames Mädchen und Haarmonster bleiben am Straßenrand zurück.

Im Schnitt braucht eine Autofahrerin anderthalb Sekunden, um zu entscheiden, dass es sich nicht lohnt, ein Mädchen vor potenziellen Triebtätern zu bewahren, wenn man dafür
a) hinterher eine Stunde lang das Auto saugen muss
und
b) künftig wöchentlich drei Stunden beim Kinderarzt rumhängen wird, weil das Kind eine Hundehaarallergie entwickelt hat.
Entscheidung gefallen!!
Gaspedal durchdrücken!!!
Glücksdrachenzeit, Katrin Zipse, S. 46

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung. Wie immer bei Magellan-Büchern wartet hier kein Standardroman, sondern eine Geschichte, die sich vom Einheitsbrei abhebt. Also schnallt euch an und begleitet Nellie auf ihrem Roadtrip!
(Wenn ihr lieber etwas ernsteres lesen wollt, empfehle ich an dieser Stelle »Die Quersumme von Liebe«, auch aus der Feder von Katrin Zipse. Das hat mich damals begeistert.)

Der Roman ist bei Magellan unter der ISBN 978-3-7348-5004-2 als Hardcover erschienen

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