Der Sommer der Wildschweine – Birgit Vanderbeke

Wie sehen wir unsere Welt? Leo macht Urlaub und sinniert dabei über verschiedenste Themen nach – egal ob Stricken, Naturkatastrophen oder Medienberichterstattung. Das klingt eigentlich nach einem perfekten Roman für mich. Trotzdem hat mich dieses Buch von Birgit Vanderbeke nicht vom Hocker gerissen. 

Leo und ihr Partner Milan wollen ausspannen – nach Jahren endlich mal. Zwischen Job-Hopping und Kindern blieb den beiden bisher keine Zeit dafür. Nun sind Johnny und Anouk erwachsen und stehen auf eigenen Beinen oder versuchen es zumindest. In Languedoc, dem Urlaubsort in Südfrankreich, angekommen, erwartet die beiden erst ein Unwetter und anschließend die herzliche Dorfgemeinde.  

Das klingt alles sehr gut – allerdings dreht sich das Buch eher um die Vergangenheit und das Leben von Leo und Milan als um den Urlaub. Es wird zwar immer wieder betont (schon auf der ersten Seite), dass diese Reise eine Veränderung im Leben des Paares herbeiführt, doch auf einschneidende Erlebnisse habe ich vergeblich gewartet. Stattdessen plätschert die Erzählung so vor sich hin.

Im Laufe des Sommers hat der Boden unter unseren Füßen angefangen, sich zu bewegen, es gab erst leise und dann immer stärkere tektonische Reibungen, Zerrungen, Deformationen, irgendwelche litosphärischen Vorgänge, kein Erdbeben natürlich, kein Vulkanausbruch, nur eben dass der Boden, auf dem du stehst, keine sehr stabile Grundlage für deine Schritte mehr ist, wir haben alle vier angefangen zu schwanken, obwohl Johnny und Anouk anfangs gar nicht dabei waren, und dazu kamen dann auch noch die Wildschweine.Der Sommer der Wildschweine, Birgit Vanderbeke, S. 7

Geschrieben ist die Geschichte aus Leos-Perspektive. Ihre Gedanken strömen aus ihr heraus und ironisch kommentiert sie die Welt und die Menschen um sich herum. Ein wiederkehrendes Thema ist das Stricken, dem sich Tochter Anouk voller Leidenschaft widmet. Aber auch zahlreichen anderen Themen widmet Leo sich in ihren Gedanken: Fracking, Suchmaschinenoptimierung, Eventmanagement, Tierschutz … Die Liste reißt kaum ab. Dabei bewegt sie sich eher im Allgemeinen als in der jeweiligen Szene. Tatsächlich erlebt der Leser sehr wenig tatsächliches Geschehen.

Ich mag den Schreibstil, ich mag den Humor, aber dennoch fehlt mir der Zugang zum Buch. Ein bisschen mehr Jetzt hätte mir gutgetan. Denn am Ende bleibe ich etwas ratlos zurück und frage mich: Was ist denn nun das Besondere an diesem Urlaub? Was wird aus den vielen Fäden, die aufgenommen und wieder fallengelassen wurden? Ich denke, hundert zusätzliche Seiten hätten dem Buch nicht geschadet – auch wenn ich mir sicher bin, dass genau dieser Effekt beim Leser beabsichtigt war.

Selber schreibt Birgit Vanderbeke folgendes über ihr Buch:

Im Jahr 2014 hatte ich das Gefühl, dass die Welt, wie wir sie zu kennen meinen, in Kürze explodieren oder implodieren würde. Während der sogenannte „Freihandel“ grenzenlos zu werden begann, wurden in Europa die Grenzen hoch gezogen und dicht gemacht und intern alles nicht Verwertbare stillschweigend aussortiert.
In dieser Situation habe ich eine Urlaubsgeschichte geschrieben.Birgit Vanderbeke auf ihrer Website

Diese vielen Gedanken, die ihr in diesem Moment durch den Kopf zu strömen schienen, hat sie auf jeden Fall treffend in ihr Buch und Leo übertragen. Ich hätte nur einfach gerne noch ein bisschen mehr gehabt – denn das Eintauchen in Leos Kopf hat mir wirklich Spaß gebracht, so ist es nicht.

Ich mag Birgit Vanderbeke, ich mag ihren Schreibstil – dennoch würde ich als Einstieg eher andere Bücher von ihr empfehlen. Angetan war ich damals von Die Frau mit dem Hund
Schaut doch auch einmal in die Rezension von »Das graue Sofa« hinein, wenn euch das Buch interessiert.

Der Roman ist bei Piper als Taschenbuch unter der ISBN 978-3-492-30559-4 erschienen.

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