Buchlabor: Geister in der Literatur

Der erste Beitrag zum Buchlabor dreht sich um Geister.

Geister. Ein Element, das immer wieder in Büchern auftaucht, sei es in der klassischen Literatur oder auch in modernen Fantasyromanen. Geister ziehen sich durch die Geschichte der Menschheit. Die zentrale Frage: Was passiert, wenn Tote die Grenze zu den Lebenden überschreiten können? Geheimnisse, die sie mit ins Grab genommen haben, können so aufgeklärt werden.

Achtung: Dieser Beitrag enthält Spoiler. Wenn ihr die darin behandelten Bücher  nicht kennt und noch lesen möchtet, solltet ihr euch den Artikel erst später ansehen. Bei den mit Sternen markierten Romanen fällt der Spoiler besonders groß aus und nimmt zentrale Inhalte und Teile des Endes vorweg.
Auf folgende Bücher gehe ich ein:

  • Kiernan, Celine: Die Moorehawke-Trilogie (Schattenpfade, Geisterpfade, Königspfade)
  • Lebert, Benjamin: Mitternachtsweg*
  • Poschmann, Marion: Die Kieferninseln*
  • Rowell, Rainbow: Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow
  • Rowling, J. K.: Harry Potter-Reihe 

»Geisterwelten« ist das erste Thema unseres Buchlabors, das auf dem Heidelberger Litcamp in diesem Jahr von Eva initiiert wurde. Ein Thema, zu dem man einiges schreiben kann. In den Beiträgen der anderen Blogger könnt ihr hier stöbern:

  • Eva geht dem Ursprung der Geister auf den Grund.
  • Babsi fragt, warum Geister eigentlich so unheimlich sind.
  • Vanessa beschäftigt sich mit Geistern in Japan.

Da ich kein Literaturwissenschaftler bin und mich mit Fachliteratur in diesem Bereich nicht auskenne, habe ich anders angefangen. Ich habe alle Bücher zusammengekramt, die ich in den letzten drei Jahren gelesen habe und in denen Geister vorkommen. Das sind gar nicht so viele, wie ich gedacht habe. Insgesamt fünf Bücher, bzw. Reihen habe ich gefunden.

Das erste, was auffällt: Geister werden dort ganz unterschiedlich behandelt und dargestellt. Und genau an diesem Punkt möchte ich ansetzen. Meine Fragen, von denen dieser Beitrag geleitet wird: Wie werden Geister in zeitgenössischen Büchern dargestellt? Welche »Formen« von Geistern gibt es? Was treibt sie an?

Doch zunächst starte ich mit einer Definition. Auf meiner Suche nach einer offiziellen Definition bin ich leider nicht fündig geworden, daher versuche ich mich selbst darin.

Als Geister werden tote Lebewesen bezeichnet, die nicht endgültig verschwinden, sondern noch in der Lage sind, mit den Lebenden Kontakt aufzunehmen. Bei diesem Kontakt muss es sich nicht zwingend um einen möglichen Dialog handeln, es kann auch nur eine Erscheinung o.ä. sein.

Antrieb: Warum sind die Geister zu den Lebenden zurückgekehrt? Welche Ziele verfolgen sie?

Bei Harry Potter ist die Erklärung sehr simpel: Wer den Tod fürchtet oder noch eine Rechnung offen hat und die endgültige Grenze nicht übertritt, bleibt als Geist zurück. Sie schwirren also dauerhaft in der magischen Welt herum. Dafür sind sie stark eingeschränkt und sofort als Geister identifizierbar. Eine traurige Vorstellung. Ihr Daseinsgrund: Furcht oder eine offene Rechnung.

Ganz anders verhält es sich bei der magischen Welt von Simon Snow. Dort sind Geister nicht an der Tagesordnung. Lassen wir Penny die Regeln erklären:

»Der Schleier hebt sich«, sagt sie wieder. »Alle zwanzig Jahre können Tote mit Lebenden sprechen, wenn sie etwas wirklich Wichtiges loswerden müssen.«
Aufstieg und Fall des außerordentlichen Simon Snow, Rainbow Rowell, S. 71

Die Geister können also für einen kurzen Moment die Grenze übertreten und den Lebenden etwas mitteilen. Ihr Ziel überschneidet sich also mit dem der Geister in Harry Potter: Sie möchten etwas  klären, wozu vor ihrem Tod keine Zeit blieb. Etwas Ungesagtes wird ausgesprochen. Das kann dabei unterschiedliche Dimensionen annehmen: Rache, Verrat, Geständnisse, Geheimnisse …

In der Welt von Celine Kiernan sind Geister flüchtige Wesen, die anders als bei Harry Potter und Simon Snow nicht in der Lage sind, klare und deutliche Aussagen zu treffen. Sie sind unstet und nur noch halb in der Welt der Lebenden verankert. Das wird besonders im Gespräch mit ihnen deutlich:

Wynter stöhnte. Sie hatte ganz vergessen, wie anstrengend Gespräche mit Geistern waren. Sich mit ihnen zu unterhalten war, als wolle man Wasser in den Händen auffangen, immer wirkte es, als wären sie zu abwesend, um bei einer Sache zu bleiben. Die meisten beschränkten sich daher nach einer Weile auf eine einzige Beschäftigung.
Schattenpfade, Celine Kiernan

Auf kurz oder lang werden sie verblassen und endgültig in die Welt der Toten übergehen. Was die Geister noch hält, wird nie deutlich. Vielleicht handelt es sich um ein unerklärliches Phänomen oder es sind Charaktere, die sich nicht von ihrem ehemaligen Leben trennen können. Ihr Daseinsgrund: Ungeklärt.

In »Mitternachtsweg« kommt ein Geist nicht zur Ruhe, bis nicht ihr Geliebter, der sie am Tag ihres Todes im Stich gelassen hat, mit ihr gemeinsam den letzten Weg geht. Ihr Ziel: Nicht alleine ins Jenseits gehen. Bis ihr Geliebter ihr folgt, ist sie zerstörerisch unterwegs und zieht andere junge Männer mit sich in den Tod. Dabei ist sie nicht eindeutig als Geist identifizierbar. Der Protagonist des Romans kommt ihr erst Schritt für Schritt auf die Spur. In diesem Roman ist auch die Rede von einem »Wiedergänger«, also einem eindeutig feindlich gesinnten Geist, dessen Seele erlöst werden muss.

»Die Kieferninseln« spielt etwas undeutlicher mit dem Geist-Symbol. Bis zum Ende wird nicht klar, ob es sich bei dem Menschen, der im Roman plötzlich verschwindet, um einen Geist handelt oder doch nur um eine Imagination des Protagonisten. In jedem Fall führt er nichts Böses im Schilde und hat auch keine offene Rechnung zu begleichen. Er bittet nur darum, eine Nachricht zu überbringen. Warum er das nicht direkt selbst tut und den Protagonisten als Mittler aufsucht, wird nicht geklärt.

Daß er schon lange sei, verkündete Yosa. Daß er an Gilbert die Bitte richte, den Abschiedsbrief an seine Eltern endlich zu überbringen. Er reichte ihm ein Dokument mit japanischer Aufschrift, Gilbert empfing es mit beiden Händen. Die Eltern lebten in Kanazawa. Gilbert möge so gut sein, den Brief dort vorbeizubringen. Seine Eltern warteten schon seit Jahren darauf. Seit Jahrzehnten. Jahrhunderten. Ewig.
Die Kieferninseln, Marion Poschmann, S. 160f.

Bis Yosa verschwindet, ahnt Gilbert nichts von dessen Nichtexistenz. Wie bei Lebert ist der Geist also nicht sofort erkenntlich.

Systematisierung: Welche Arten von Geistern gibt es?

Schnell fällt ein zentraler Unterschied ins Auge: Es gibt die Geister, bei denen sehr schnell klar wird, dass es sich bei den Erscheinungen um tote Wesen handelt. Bei meiner Auswahl sind es die Fantasy-Romane, die eine solch klare Abgrenzung verwenden. Sowohl in Harry Potter, als auch in der Moorehawke-Trilogie und Simon Snow sind Geister von den Lebenden ganz klar als eigentlich tote Wesen identifizierbar.

Ganz anders verhält es sich bei den beiden Titeln aus der Belletristik, die in meinem Regal standen. Sowohl bei »Die Kieferninseln« als auch bei »Mitternachtsweg« ist den Protagonisten nicht klar, dass sie mit Geistern interagieren. Das ergibt sich erst nach und nach im Laufe der Handlung.

Im Vergleich sind allerdings auch nur bei diesen beiden Büchern die Geister zentrale Handlungselemente und Hauptcharaktere. In den Fantasyromanen handelt es sich eher um ein zusätzliches Element, die Welt auszuschmücken. Sie haben noch etwas gemein: Die Geister sind keine einmaligen Phänomene sondern eine systematische Erscheinung, d.h. beinahe jeder kann zum Geist werden, wenn er stirbt. Bei Poschmann und Lebert dagegen ist es etwas besonderes, einmaliges.

Ich will nicht so weit gehen, zu behaupten, dass sich hier ein Muster erkennen lässt. Aber es wäre schon spannend, diesem Thema breiter auf den Grund zu gehen. Ich halte aber an dieser Stelle folgendes fest: Es gibt »offene Geister« und »verborgene Geister«. Außerdem gibt es Geister als »besonderes Phänomen« und Geister als »systematische Erscheinungen«.


Was ist also mein Fazit? Geister können in Büchern ganz unterschiedlich eingearbeitet werden. Mal sind sie ein zentraler Teil des Buchs und ihre Identifikation dient dem Vorantreiben der Handlung, manchmal sind sie nur da, um die erzählte Welt ein wenig magisch zu machen. In jedem Fall verfügen sie über andere Eigenschaften als die Lebenden. Geister sind Tote, die in der Welt der Lebenden verweilen – meist müssen Sie etwas erledigen, etwas Ungesagtes loswerden. Manchmal können Sie auch nur nicht Abschied nehmen.

Wie auch immer sie dargestellt werden: Geister bereichern die Literatur und ziehen sich auch immer wieder als Motiv durch moderne Bücher. Woran mag das liegen? Fasziniert die Menschen einfach der Gedanke, was Tote anrichten können, wenn sie zu den Lebenden zurückkehren?

Das war mein erster Beitrag zum Buchlabor. Wie habt ihr Geister bisher wahrgenommen? In welchen Büchern seid ihr ihnen begegnet?

2 Kommentare

  1. Pingback: #litwipunk im Buchlabor: Die Geister sind los - ~Schreibtrieb~

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