Leere Herzen – Juli Zeh

Leere Herzen von Juli Zeh

Eine Generation, die sozial verödet und keinen Blick mehr nach links und rechts wirft, steht im Zentrum von Juli Zehs neuem Roman. Ein fesselndes Buch – das zum einen Sozialstudie und zum anderen Thriller ist.

Wenn man ein Buch von Juli Zeh liest, weiß man: Es wird nicht so sein, wie die anderen Bücher aus ihrer Feder, die man bereits kennt. Und obwohl ich beinahe alles von ihr gelesen habe, hat sie es auch mit »Leere Herzen« wieder etwas völlig Neues erschaffen.

Hauptfigur des Romans ist Britta, Ehefrau, Mutter und vor allem eins: erfolgreiche Geschäftsfrau. Für die Menschen in ihrer Umgebung ist sie eine Therapeutin, jemand, der Menschen hilft, zurück ins Leben zu finden. Doch eigentlich verdienen sie und ihr Partner Babak ihr Geld ganz anders.

Schon der Einstieg hat mich ins Buch hineingezogen. Ein Treffen mit Freunden, das deutlich zeigt, wie desinteressiert die porträtierte Generation gegenüber der Welt auftritt. Das äußert sich sogar an der Beziehung zu den Kindern. Beschäftigung mit den Kleinen? Hauptsache, sie spielen irgendwo, worum es bei den Spielen geht ist den Eltern egal. Im Gegenteil, sie amüsieren sich eher noch, wenn dabei Gewalt im Zentrum steht.

Meistens schießt das Mega-SEK nach einigen Verwicklungen wild um sich, wobei nicht nur die Glotzis, sondern auch sämtliche Mega-Mall-Kunden getötet werden. Dann hört man dramatische Musik und zweistimmiges »Kollateralschaden!«-Gejuchze aus dem Kinderzimmer.
Während der Edwards im Dekantierer atmet, öffnet Britta die Kühlschranktür und genießt für einen Moment den Anblick der perfekt präsentierten Lebensmittel.Leere Herzen, Juli Zeh, S. 31

Doch dann passiert etwas, was Britta aus dieser Lethargie reißt. Ein Anschlag in Leipzig stört den unterhaltsamen Abend. Alle Besucher nehmen das nur beiläufig zur Kenntnis, doch Britta verhält sich ganz anders. Das hängt nicht mit den Verletzten und Toten zusammen, sondern damit, dass sie das Ereignis nicht hat kommen sehen. Das klingt mysteriös? Ist es auch. Denn es dauert eine Weile, bis der Leser herausfindet, wie genau Britta und Babak ihr Geld verdienen.

Die nahe Zukunftsvision, die Juli Zeh erschafft, ist nicht gerade angenehm zu lesen. Eine rechtspopulistische Partei hat die Regierung von Angela Merkel übernommen, doch kaum jemand scheint sich daran zu stören. Das bedingungslose Grundeinkommen ist mittlerweile Realität. Distanziert beobachten die Menschen das politische Geschehen. Hauptsache, in der eigenen kleinen Welt läuft alles gut. Janina und Knut, die besten Freunde von Britta und ihrem Ehemann, stechen dabei noch heraus, wirken kritischer und interessierter. Doch das führt nur dazu, dass Britta sie für ihren Idealismus und den damit einhergehenden fehlenden beruflichen Erfolg bemitleidet.

Braunschweig passt so gut zu Britta, weil man hier irgendwie unter dem Radar fliegt. Gut durchdachte Mittelmäßigkeit, unauffälliges Durchwurschteln. Britta will eine friedliche Existenz für sich und ihre Familie, sie will ihre Arbeit machen, Verantwortung tragen, aber nur für Dinge, die sie anfassen kann. Warum sollte sie sich für den Rest zuständig fühlen? Heutzutage weiß doch niemand mehr, wofür oder wogegen er sein soll.Leere Herzen, Juli Zeh, S. 31

Diese Schilderung ist deswegen so bedrohlich und erschreckend, weil das alles gar nicht weit weg oder gar unrealistisch wirkt. Tatsächlich scheint heute das perfekte Auftreten auf Social Media wichtiger zu sein als Politik. Die Widmung »Da. So seid ihr.« ist also durchaus geschickt platziert.

Auch sprachlich fängt Juli Zeh diese Distanz, emotionale Kälte und ironische Betrachtung der Umwelt ihrer Protagonistin ein. Denn der Roman ist komplett aus Brittas Sicht erzählt. Die Sätze sind kurz, angenehm zu lesen und dabei dennoch bedeutungsschwer. Ob einem Britta nun sympathisch ist, ist eine andere Frage. Man mag kritisieren, dass es literarischere Bücher von Juli Zeh gibt. Möglich, dennoch sinkt »Leere Herzen« dabei nicht in meinem Ansehen. Es ist eben ein neues Buch der Autorin, da kann es auch gerne etwas anders sein.

Mich hat das Buch durchweg gefesselt. Es ist intelligente Unterhaltung, die gleichzeitig der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Die Zukunftsvision inklusive des Geschäftsmodells von Brittas Firma mag zuweilen seltsam und beinahe absurd wirken, doch genau dieses Gedankenspiel hat mich fasziniert. Befinden wir uns auf dem Weg dorthin? Könnte so etwas funktionieren? Sind wir nicht alle stellenweise steuerbare Marionetten, die sehr einfach zufrieden zu stellen sind?

Von mir gibt’s also eine klare Leseempfehlung für das neue Buch von Juli Zeh. Andere Meinungen findet ihr bei paper & poetryBücherkompass oder Literat(o)ur.

Der Roman ist Luchterhand als Hardcover unter der ISBN 978-3-630-87523-1 erschienen.

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