Der Gott jenes Sommers – Ralf Rothmann

Der Gott jenes Sommers – Ralf Rothmann

Kiel 1945. Die Stadt ist bereits vollkommen zerstört. Die zwölfjährige Luisa muss ihre Heimatstadt und ihren Vater verlassen. Mit ihrer Mutter und ihrer Schwester zieht sie aufs Land: Denn ihrem Schwager, einem hochrangigen SS-Offizier, gehört dort ein Hof, auf dem sie leben können.

Das klingt eigentlich nach einem harmonischen Landleben. Luisa wandelt dort wie durch eine Traumwelt. Ihre Augen sehen vieles, ihre Ohren hören noch mehr, doch meist weiß sie gar nicht, was es ist, das sie dort wahrnimmt. Sie ist ein stiller Beobachter, der lediglich aufnimmt und nicht wertet.

Und gerade das hat für mich den Reiz des Buches ausgemacht. Luisa wird mit so vielen Themen konfrontiert: Abneigung und Vorbehalte gegen Flüchtlinge, Konzentrationslager und Zwangsarbeit, unterschiedliche politische Haltungen, Kriegsprofiteure, Kriegsbrutalität, Missbrauch, Denunziantentum, und so weiter und so weiter. Die 254 Seiten sind prall gefüllt mit verschiedenen Figuren und Ereignissen, in die Luisa nahezu hineinstolpert. Mir fiel es schwer, einige Situationen zu lesen. Sicher, so etwas ist nicht neu, existiert schon in verschiedenen Formen auf dem Buchmarkt, aber die naive Kindersicht in der brutalen, harten Realität kurz vor Kriegsende war ein starker Kontrast, der mich berührt hat. Für mich hat Ralf Rothmanns Konstruktion also wunderbar funktioniert.

Auch sein Schreibstil ist wie immer wunderbar. Seit ich einen Kurzgeschichtenband von dem Autor in der Hand hielt, bin ich davon begeistert. Er fasst Luisas Perspektive für mich passend in Worte. Stellenweise beschreibt er ungefiltert jedes Detail, sodass es beinahe naturalistisch anmutet, stellenweise hält er sich stark zurück.

Ein Detail, was ich nun beinahe vergessen hätte: Jeder Kapitelübergang wird durch eine Passage aus dem dreißigjährigen Krieg eingeleitet. Kriegsgräuel sind zeitlos und begleiten die Menschen seit jeher. Auch wenn gut geschrieben, habe ich mich mit diesen Passagen etwas schwer getan, da sie mich immer wieder aus der Handlung des eigentlichen Romans herausgerissen haben. Ich war beinahe geneigt, sie zu überspringen – und das ist bei mir selten der Fall.

Das Ende des Romans war für mich sehr passend, auch wenn ich Luisa gerne länger begleitet hätte. Was mir noch sehr gut gefiel ist das kleine Crossover zu »Im Frühling sterben«, Ralf Rothmanns erstem Roman, der während des zweiten Weltkriegs spielt. Das lässt die Hoffnung in mir wachsen, dass es bald einen dritten Roman geben wird, der eine andere Perspektive beleuchtet.

Alles in allem war Ralf Rothmanns neuer Roman also ein sehr eindringliches und bewegendes Leseerlebnis für mich. Wer von der Thematik noch nicht übersättigt ist, sollte sich dieses Buch in jedem Fall einmal anschauen.

Der Roman ist als Hardcover unter der ISBN 978-3-518-42793-4 bei Suhrkamp erschienen.

Weitere Stimmen und Hintergrundwissen zu dem Buch:

  • Petra von LiteraturReich spricht eine Empfehlung zu dem Buch aus und schreibt eine wunderbare Rezension mit Hintergrundwissen.
  • Marcus von Bücherkaffee lobt das Buch wegen seiner leisen Töne.
  • Monika von mona lisa bloggt! findet zu viele Klischees in dem Buch und empfiehlt andere Bücher, die zu der Zeit spielen.
  • Auf YouTube findet sich ein Video von einer Lesung von Ralf Rothmann: Da kann man gut einmal reinschnuppern.

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